59/I/2016 Gerechtigkeit, Teilhabe, Soziale Sicherheit - Ein 10-Punkte-Programm

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Status:
Annahme

„Der Steuerzahler“ wird immer stärker mit Steuern und Abgaben belastet. Alle Lebensbereiche sind erfasst. Hinzu kommen ständig steigende Sozialabgaben und laufende Steigerungen bzw. „Anpassungen“ von Abgaben, die von ehemaligen Staatsbetrieben beeinflusst werden (Bahn, Post, Telekom). Sozialabgaben haben einen immer höheren Anteil an den Gehaltsabzügen. Die EEG-Umlage wird auf die regionalen Stromkunden abgewälzt, die LKW-Maut auf die Preise.

Letztlich zahlt „der Verbraucher“ alles; er kann viele Belastungen nicht einfach umgehen, weil er u. a. auf Waren des täglichen Bedarfs angewiesen ist. Diese Belastungen sind aber ungleich verteilt.

Die Einkommen der Mittelschicht bzw. der Bezieher von geringen, mittleren, aber auch höheren Einkommen werden so stark belastet, dass sie in die Bereiche der Transfereinkommen gelangen, d. h. kaum noch Mittel zur Verfügung haben, die über den laufenden Lebensunterhalt hinausreichen. Rücklagen- oder Vermögensbildung, Vorsorge und Alterssicherung sind in einigen Einkommensbereichen nicht mehr im notwendigen Umfang möglich. Gleichzeitig zeigen Statistiken der letzten Jahre über die Einkommens- und Vermögensverteilung erhebliche Verwerfungen auf. Einkommen und Vermögen konzentrieren sich immer stärker in den oberen Bereichen. Die Schere geht weiter auseinander, sie öffnet sich immer weiter.

Die Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens in Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren weiter dramatisch zugenommen. Die oberen zehn Prozent der Haushalte verfügen über 52 Prozent (1998: 45%) des Nettovermögens.

Die unteren zehn Prozent verfügen nur über 1 Prozent (1998: 3 %) des Nettovermögens.

Wissenschaft und Gewerkschaften fordern die Politik immer wieder auf, den privaten Konsum zu stärken.

Bildungschancen und damit Lebenschancen werden für Bezieher unterer bis mittlerer Einkommen immer geringer.

Die SPD muss die erhebliche Unzufriedenheit in der Bevölkerung über diesen Zustand aufgreifen und daraus eine Handlungsmaxime entwickeln, ganz im Sinne „Für eine Politik aus der Mitte des Alltags – gegen wachsenden Populismus“, wie es in dem Impulspapier „Starke Ideen für Deutschland 2025“ angeschnitten wird.

Der Bund kann in den letzten Jahren stetige Steigerungen der Steuereinnahmen vermelden, und dennoch reicht die immer größer werdende Summe der Einnahmen nicht zur Finanzierung wichtiger Aufgaben aus. Öffentliche Haushalte, vor allem der Kommunen sind strukturell unterfinanziert. Es besteht ein erheblicher Nachholbedarf an Infrastrukturinvestitionen.

Der Abbau von Belastungen und eine Umverteilung des Vermögens sind das Gebot der Stunde!

Das ist zu tun:

I. Steuergerechtigkeit

Erforderlich sind grundlegende Reformen des Steuersystems, um dieses gerechter zu gestalten und dauerhaft ausreichende Einnahmen zur Finanzierung der notwendigen öffentlichen Aufgaben sicherzustellen.

Das bestehende Steuersystem und die Steuerpolitik wurden und werden diesen Anforderungen bisher nicht gerecht. Seit dem Jahr 2000 sind Reiche und Unternehmen mehrfach erheblich steuerlich entlastet worden. Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer sank von 53 auf 42 Prozent (bzw. 45 Prozent Reichensteuer). Der Gewinnsteuersatz der Kapitalgesellschaften sank von 40 Prozent auf 15 Prozent. Bereits seit 1996 wird die Vermögensteuer nicht mehr erhoben. Die Steuerreformen seit 1998 haben zu Einnahmeausfällen von etwa 45 Milliarden Euro jährlich geführt. Die Erbschaftsteuer ist in ihrer bisherigen Form sogar verfassungswidrig, weil sie völlig übermäßige und unbegründete Steuerbefreiungen für Erben von Unternehmen und großen Aktienpaketen vorsieht.

1. Änderungen bei der Körperschaftssteuer und der Gewerbesteuer

Unternehmen müssen wieder stärker an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligt werden. Zentrale Punkte sind die Wiederanhebung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 Prozent, die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Wiederherstellung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. Die Gewerbesteuer ist zu einer Gemeindewirtschaftsteuer auszubauen, die die Steuereinnahmen für Kommunen auf eine breitere Basis stellt. Insgesamt können so Mehreinnahmen von über 30 Milliarden Euro jährlich erzielt werden.

2. Wirksame Besteuerung von Kapitaleinkommen

Um sicherzustellen, dass alle in der Bundesrepublik Deutschland erwirtschafteten Kapitaleinkommen angemessen versteuert werden, müssen die Möglichkeiten zum Abzug von Finanzierungskosten, Pachten, Lizenzen und Leasinggebühren weiter eingeschränkt bis versagt werden, wenn nicht nachgewiesen wird, dass die Empfänger der Zahlungen diese Einkommen angemessen versteuern. Auch im Rahmen der EU und der OECD müssen wirksame Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Gewinnverschiebung internationaler Unternehmen ergriffen werden. Erster Schritt ist die Herstellung von Transparenz durch verpflichtende länderbezogene Berichterstattung von Konzernen über Gewinne und gezahlte Steuern. Notwendig sind EU-weite Mindeststeuersätze auf Unternehmensgewinne von 25 Prozent, die auf eine breite vereinheitlichte Bemessungsgrundlage anzuwenden sind. Doppelbesteuerungsabkommen sind so zu reformieren, dass die angemessene Besteuerung aller Einkommen sichergestellt wird.

3. Änderungen bei der Einkommensteuer und Beseitigung der kalten Progression

Bei der Einkommensteuer soll durch eine deutliche Erhöhung des Grundfreibetrages und eine Abflachung des Anstiegs der Besteuerung im unteren Bereich Steuerpflichtige mit niedrigem und mittlerem Einkommen entlastet werden. Der Spitzensteuersatz soll auf 50 Prozent (53 Prozent mit Reichensteuer) erhöht werden. Die Abgeltungsteuer von nur 25 Prozent soll abgeschafft und Kapitalerträge sollen wieder progressiv im Rahmen der Einkommensteuer belastet werden. Gewinne sollen realistischer erfasst und besteuert werden.

Die Entfernungspauschale soll so reformiert werden, dass Beschäftigte mit geringem Einkommen bei gleichem Fahrtweg genauso stark entlastet werden wie solche mit hohem Einkommen. Insgesamt soll die Einkommensteuerreform ohne Einnahmeverluste gestaltet werden, das heißt, Entlastungen für die Mehrheit der Beschäftigten müssen durch höhere Besteuerung der hohen Einkommen gegenfinanziert werden. Dies gilt auch für Reformen zum Ausgleich der kalten Progression.

Heimliche Steuererhöhungen durch kalte Progression könnten z. B. durch Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Kaufkraftentwicklung vermieden werden.

4. Reform bzw. Wiedereinführung der Vermögenssteuer

Die Millionäre und Milliardäre in und aus der BRD müssen endlich einen ihren finanziellen Möglichkeiten angemessenen Beitrag leisten, um die Aufgaben des Gemeinwesens zu finanzieren und Belastungen aus der Bewältigung der Banken- und Finanzkrise zu kompensieren. Wer in Deutschland wirtschaftet, muss sich auch angemessen am gesellschaftlichen Aufwand beteiligen, auch wenn er im Ausland wohnt.

Es ist daher eine dauerhafte Vermögensteuer wieder zu erheben. Sie soll auf Nettovermögen oberhalb eines Freibetrages von einer Million Euro je Person mit einem Steuersatz von einem Prozent einsetzen und mit einem halben Steuersatz auch Körperschaften besteuern. Das jährliche Steueraufkommen beträgt dann etwa 20 Milliarden Euro, die den Bundesländern zufließen und von diesen auch zur besseren Finanzierung der Kommunen verwendet werden sollen. Zusätzlich soll eine progressiv ausgestaltete einmalige Vermögensabgabe der Millionäre, gestreckt über zehn Jahre, erhoben werden. Sie würde insgesamt 300 Milliarden Euro einbringen und Belastungen des Bundes finanzieren, die in Folge der Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise entstandenen sind. Der Vorschlag knüpft an die Idee des Lastenausgleiches an, wie er nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurde.

5. Reform der Schenkungs- und Erbschaftssteuer

Die Steuer auf Erbschaften und Schenkungen hat derzeit nur noch die Bedeutung einer Bagatellsteuer. Dafür sind vor allem Regelungen verantwortlich, die insbesondere sehr große Vermögen unverhältnismäßig privilegieren. Mit der Vorzugsbehandlung bestimmter Arten von Vermögen muss Schluss gemacht werden. Eine verfassungsfeste und verteilungsgerechte Besteuerung von Erbschafen und Schenkungen ist dringend geboten. Die derzeit geplante Reform entspricht nicht diesen Anforderungen. Sie würde die Schere zwischen Arm und Reich weiter vergrößern.

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer soll nicht nur einen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten, sondern ebenso der zunehmenden Ungleichheit der Vermögensverteilung entgegenwirken. Deshalb müssen insbesondere die Erben von Großvermögen erheblich höher besteuert werden.

Das Aufkommen der Erbschaftsteuer in der Bundesrepublik Deutschland ist relativ zu dem großen Umfang und der Konzentration der jährlich vererbten oder verschenkten Vermögen viel zu gering. Die sehr großen Vermögen liegen überwiegend als Eigentum an Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen oder Immobilien vor. Die weitgehende Steuerbefreiung der Übertragung dieser Vermögen ist abzuschaffen. Zur Vermeidung von arbeitsplatzgefährdenden Zahlungsproblemen reicht es aus, nötigenfalls die Steuerzahlung zu stunden oder auf längere Zeiträume zu verteilen. Eine solche Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer kann und muss das jährliche Steueraufkommen mindestens auf etwa zehn Milliarden Euro verdoppeln.

Es sind Freibeträge für „Omas Häuschen“ bzw. für selbst genutzte geerbte Wohnungen und Häuser vorzusehen.

6. Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf Geschäfte mit Aktien, Anleihen, Devisen und Derivaten.

Finanzspekulationen mit Lebensmitteln sind zu verbieten. Die Mittel aus dem Aufkommen der Finanztransaktionssteuer sind als Finanzierungsbeitrag für ein europäisches Zukunftsinvestitionsprogramm und für den internationalen Kampf gegen Hunger und Armut einzusetzen.

Die so erreichten zusätzlichen Mittel sind für Bildung und Ausbildung, vor allem für Chancengleichheit in der Bildung und Bildungsgerechtigkeit (soziale Umverteilung) sowie für den Erhalt und Ausbau der öffentlichen Infrastruktur einzusetzen. Es wäre auch sinnvoll, in Zeiten niedriger Zinsen die Investitionen dafür wesentlich zu erhöhen und teilweise über Kredite zu finanzieren.

II. Sozialsysteme

1. Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Die in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten eingeführte Festschreibung der Arbeitgeberanteile ist zu revidieren. Es erscheint gerechtfertigt, die hälftige Finanzierung der Krankheitskosten wieder herzustellen.

2. Umlagefinanzierte Altersversorgung

Die Altersversorgung wird Zug um Zug auf eine umlagefinanzierte und gesetzlich abgesicherte Rentenversicherung abgestellt, in die auch Selbständige und Beamte einbezogen werden. Die Rente muss annähernd den Lebensstandard sichern. Versicherungsfremde Leistungen sind ausnahmslos über Steuern zu finanzieren (z. B. Mütterrente). Dabei steht auch die Abkoppelung der Sozialversicherungssysteme von den Löhnen zur Diskussion.

3. Neuordnung des Gesundheitssystems

Das Gesundheitssystem ist neu zu ordnen. Dabei ist das Thema Bürgerversicherung wieder aufzugreifen.

4. Globalisierung und Arbeitsverfassung 4.0

Es ist eine Arbeitsverfassung zu schaffen, die Arbeitnehmende in Zeiten der Globalisierung schützt (neue drohende Automation bzw. Digitalisierung) und insbesondere prekäre Arbeitsbedingungen beseitigt. Internationale Übereinkommen sind mit der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zu verbessern.
Der Arbeitsschutz ist insbesondere für Leiharbeit und Werkverträge strenger zu regeln.

Empfehlung der Antragskommission:
Überweisen an: Landesausschuss
Version der Antragskommission:

Begründung:

  • zur Weiterentwicklung und Vorlage an Landesvorstand und Landesparteitag
Stellungnahme(n):
Beschlussfassung durch den SPD-Landesausschuss Annahme 

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