39/I/2017 Mitbestimmungsrechte von Kindern- und Jugendlichen in die Kommunalverfassung

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Status:
Annahme

Der Landesparteitag fordert die SPD-Landtagsfraktion auf, im Rahmen einer Gesetzesinitiative die flächendeckende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gesetzlich zu verankern und mittels einer Landesstrategie dafür zu sorgen, dass diese Gesetzesänderungen auch umgesetzt werden.

  1. Hierzu wird im § 19 der Kommunalverfassung (BbgKVerf) der folgende Absatz eingefügt:
    Die Gemeinde muss bei Planungen und Vorhaben, die die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu muss die Gemeinde über die Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner nach den §§ 13 bis 16 hinaus geeignete Verfahren entwickeln. Insbesondere kann die Gemeinde eine Jugendvertretung einrichten. Hierzu können weitere Formate, über die im § 19 Abs. 1 genannten Möglichkeiten hinaus, entwickelt werden. Die Mitglieder der Jugendvertretung sind ehrenamtlich tätig.
  2. Außerdem wird im § 17a des Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (AGKJHG) der folgende Absatz eingefügt:
    Kinder und Jugendliche sollen an Planungen in den Gemeinden in angemessener Weise beteiligt werden, soweit ihre Interessen hiervon berührt werden. Es soll eine dauerhafte Beteiligungsmöglichkeit eingerichtet werden.
  3. Zur Umsetzung der oben genannten Änderungen soll zudem eine Landesstrategie zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Landtag beschlossen werden, die u. a. sicherstellt, dass die Kommunen mit ausreichend Ressourcen und dem nötigen Know How ausgestattet sind, die sie zur Umsetzung von Kinder- und Jugendbeteiligung benötigen. Darüber hinaus sind in der genannten Landesstrategie wirksame Maßnahmen zur Stärkung von Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in den Bereichen festzulegen, in denen sie sich bewegen.
    Dazu gehören insbesondere die  Schulen, aber auch Jugendeinrichtungen, Kindergärten oder Spielplätze. Insbesondere Schülerinnen und Schüler müssen im Rahmen der Gremienarbeit an den Schulen einen stärkeren Einfluss auf ihre Schule erhalten können. Außerdem sind Maßnahmen effektiver außerschulischer politischer Bildung zu vereinbaren.
    Diese Strategie soll gemäß Kommunalverfassung mit den kommunalen Spitzenverbänden, dem Ministerium des Innern und für Kommunales Brandenburg (MIK), dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport Brandenburg (MBJS), Schüler-, Lehrer-, Eltern- und Jugendverbänden und nicht zuletzt den Jugendlichen selbst gemeinsam ausgearbeitet und nach gesetzten Fristen evaluiert werden.
    Bereits bestehende effektive Strukturen sollen dafür genutzt werden.
Begründung:

Im vorliegenden Antrag sind Formulierungen aus den Kommunalordnungen und den Kinder- und Jugendhilfe Gesetzen (KJHG) von Schleswig-Holstein[1] und Baden-Württemberg[2] verarbeitet. Sie haben bereits seit Jahrzehnten Kinder- und Jugendbeteiligung gesetzlich verankert und können somit mehr Jugendbeteiligung verzeichnen als andere Bundesländer. Kinder- und Jugendbeteiligung ist nötig, um die Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppe zu hören, die weniger Möglichkeiten hat über Wahlen oder direktem politischen Engagement  Einfluss auszuüben. Ihre Interessen werden aber tagtäglich verhandelt. Sei es bei der Ausstattung von Sporthallen oder Schulen durch deren Träger, sei es bei der Verkehrsplanung und dem öffentlichen Nahverkehr, sei es bei Freizeitangeboten oder Kultur. Überall in der Kommune wird über die Belange von Kindern und Jugendlichen bestimmt. Viel zu oft passiert dies über ihre Köpfe hinweg. Sehr oft wird eine fehlende Beteiligung mit fehlender Kontinuität und Bereitschaft seitens der Jugendlichen und fehlender Legitimität von jugendlichen Gremien begründet. Manchmal scheitert es schon am mangelnden Interesse der Jugendlichen oder daran, dass sie aufgrund von höher werdenden Belastungen in Schule, Ausbildung, Ehrenamt, Training und Nachhilfe schlicht keine Zeit haben. All diese Probleme und Hinderungsgründe sind erfahrungsgemäß aber dann lösbar, wenn Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Kommunen wirklich gewollt ist. Gemeint ist dabei ausdrücklich das Abtreten von Entscheidungsmacht, was bewirkt, dass Kinder- und Jugendliche Zeit und Kraft in die Gremien investieren, weil sie wirklich etwas bewegen können. Leider ist dies nicht in jeder Kommune der Fall. Da dies nicht mit den Ansprüchen an ein demokratisches Gemeinwesen in Einklang zu bringen ist, sehen wir den Gesetzgeber in der Verantwortung.

Vieles ist möglich

Mit Kinder- und Jugendbeteiligung ist nicht nur das klassische Kinder- und Jugendparlament gemeint. Es gibt zahlreiche und erfolgreich erprobte Formen, die es ermöglichen, dass Kinder und Jugendliche angemessen beteiligt werden. Die Formulierungen lassen bewusst offen, wie Kinder und Jugendbeteiligung vonstattengehen soll. In Schleswig-Holstein sind so unzählige Formen entstanden, die alle Kinder und Jugendbeteiligung ermöglichen.[3] Wichtig für uns ist hierbei, dass es effektive Einfluss- und Mitwirkungsrechte vor Entscheidungen gibt und nicht lediglich Anhörungsrechte oder gar eine Instrumentalisierung durch Erwachsene.

Mehr Partizipation ist demokratischer

Viele gewählte Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker argumentieren, dass das Abtreten von Entscheidungsmacht an andere Gruppierungen letztendlich die demokratische Wahl der Vertretung, die ja letztlich alle Bürgerinnen und Bürger vertreten soll, zugunsten einer Einzelgruppe und derer Interessen unterhöhlen würde. Außerdem würden Jugendliche über Gebühr bevorteilt, wenn ihnen ein Sonderstatus im Gesetz eingeräumt wird.

Letzteres lässt sich dadurch entkräften, dass bereits Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen ein solcher Status im Gesetz eingeräumt ist und in der Praxis zudem bereits sehr viel Entscheidungsmacht bei den Seniorenbeiräten liegt, da diese sich besser organisieren können als Jugendliche.

Das erste Argument ist ein Problem der repräsentativen Demokratie insgesamt, da in repräsentativen Gremien kaum alle Interessengruppen gleichermaßen vertreten sind. In Vertretungen und Parlamenten sitzen mehrheitlich deutsche Männer, die nicht mehr jung sind und die nachweislich i.d.R. nicht die Interessen der anderen Bevölkerungsgruppen vertreten. Insofern sind Quotenregelungen und Elemente der direkten Demokratie auch in anderen Bereichen notwendig, um den Bedarf der Bevölkerung nach mehr Beteiligung und mehr Demokratie zu decken. Für uns ist mehr Jugendbeteiligung hierzu ein Türöffner, weshalb sich dieser Antrag damit zuvorderst beschäftigt. Natürlich muss die Legitimität der Entscheidungen auch dann gesichert sein, wenn Jugendliche selbst darüber befinden und die gewählte Vertretung muss weiterhin einen hervorgehobenen Status innerhalb der Kommune haben. Es gibt bereits Ansätze, die diese Probleme bearbeiten. Sie müssen in Satzungen verarbeitet werden, die eine Balance zwischen einem Mehr an Partizipation und ausreichender Legitimität wahren.

Keine Frage des Geldes

In der Praxis könnte es passieren, dass die Kommunalaufsicht bspw. den Umbau von Schulgebäuden oder die Schließung eines Jugendzentrums stoppt, wenn erkennbar ist, dass Kinder und Jugendliche nicht angemessen beteiligt wurden, was in Schleswig-Holstein nach Einführung des Gesetzes auch vorgekommen ist.[4] Das macht Kommunalpolitik nicht einfacher, aber eine pflichtige Kinder- und Jugendbeteiligung wird den Kommunen unter dem Strich nicht mehr kosten, als sie ohnehin schon dafür ausgeben würden.[5] Tatsächlich zeigen Studien, dass eine effektive Kinder- und Jugendbeteiligung den Kommunen sogar Geld einbringt. Ein Spielplatz, der mit Beteiligung geplant wurde, wird von Kindern und Jugendlichen besser angenommen, weil er eher deren Bedürfnissen entspricht und er wird aufgrund der hohen Eigenidentifikation zudem schonender behandelt und verursacht somit weniger Folgekosten als konventionell geplante Spielplätze. Erfahrungen aus Kommunen mit erfolgreichen Beteiligungsansätzen zeigen zudem langfristige Effekte, z. B. dass Jugendliche sich mehr mit ihrem Heimatort identifizieren, dort bleiben oder wahrscheinlicher wieder zurückkehren und die Bevölkerung somit stabil halten.[6]

Das Problem liegt vielmehr bei der Ressource Wissen, welches benötigt wird, um die pflichtige Beteiligung auch gut umzusetzen und die Jugendlichen zu motivieren, sich dauerhaft zu beteiligen. Hierbei soll die im Antragstext vorgeschlagene Landesstrategie helfen.

Kreisgebietsreform steht nicht im Weg

Die Kommunalgebietsreform, die ab spätestens der nächsten Legislatur auch für die Gemeindeebene umgesetzt werden soll, würde diesem Vorhaben nicht im Wege stehen. Kinder- und Jugendbeteiligung kann immer umgesetzt werden, egal in welcher Weise die Strukturen gegliedert sind. Mit den richtigen Methoden ist sie in allen denkbaren Strukturen möglich. Außerdem ließe sich im Zuge der Reform die Verankerung von Beteiligung gleich „in einem Abwasch“ gesetzlich implementieren.

Sicherlich werden Gesetze allein nichts bringen

Mit einer gesetzlichen Verankerung allein ist es indes nicht getan. Wie das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, muss die verpflichtend verankerte Kinder- und Jugendbeteiligung nicht unbedingt erfolgreich umgesetzt werden.[7] Es muss also eine Strategie her, die den Kommunen hilft, Partizipation möglich zu machen und sie effektiv umzusetzen. Hierzu schlagen wir vor, parallel zum Gesetzgebungsprozess eine Strategie zu erarbeiten, die die pflichtige Beteiligung auch zum Erfolg führt. Selbstverständlich muss hier auch die Zielgruppe, nämlich Kinder und Jugendliche, an der Erarbeitung beteiligt werden.[8]

Schule muss stärker demokratisiert werden

Die Schule ist hierbei das wichtigste Feld, um Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu implementieren. Sie ist der Ort, an dem Kinder- und Jugendliche den produktivsten und den immer größer werdenden Teil ihrer Zeit verbringen. Leider hat Demokratie und Mitbestimmung nicht an allen Schulen Platz. Obwohl im Schulgesetz ausgiebig geregelt, haben Schülerinnen und Schüler nur selten echte Mitbestimmungsrechte in den Gremien der Schule. Oft reichen ihr Know How und ihre Zeit nicht aus, um effektiv innerhalb der Schule und überregionalen Schülerinnen- und Schülervertretungen zu wirken. Mehr noch: getroffene Entscheidungen werden nicht selten von der Schulleitung kassiert und engagierte Schülerinnen und Schüler ausgebremst. Für Praktiker gestaltet sich Schule oftmals als ausgesprochen undemokratischer Ort. Es sind genügend gesetzliche Grundlagen im Brandenburgischen Schulgesetz vorhanden, sie müssen lediglich im Sinne des Gesetzes umgesetzt werden.

Nicht zuletzt dient Beteiligung von Kindern und Jugendlichen auch dazu, diese an demokratische Prozesse heranzuführen und eine Selbstwirksamkeit zu erfahren, die langfristig zu demokratischerem und solidarischerem Bewusstsein eines jeden Jugendlichen beiträgt.[9] In Zeiten, in denen demokratisches und solidarisches Handeln nötiger wird denn je, wäre die Ausweitung von demokratischen Rechten für jene, die am wenigsten vertreten sind ein wichtiges Signal und ein wichtiger Schritt in Richtung „Mehr Demokratie wagen.“

[1] Vgl. §47f Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein, abgerufen am 02.10.17 auf http://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de

[2] Vgl §41a Gemeindeordnung Baden-Württemberg abgerufen am 02.10.17 auf http://www.landesrecht-bw.de

[3] Vgl. Bericht der Landesregierung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Drucksache 18/ 4722

[4] Vgl. Bericht der Landesregierung zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Drucksache 18/ 4722

[5] Fatke et al, Kinder und Jugendpartizipation in Deutschland, Bertelsmann 2007

[6] Hierzu gibt es einschlägige Erfahrungen in der Stadt Senftenberg.

[7] Vgl. Beschluss der 89. Vollversammlung des Landesjugendringes Schleswig-Holstein am

28.05.2016, abgerufen am 03.10.17 auf http://www.ljrsh.de/positionen/view/18

[8] Erfahrungen aus Schleswig-Holstein nachlesbar unter https://sh-gruene-fraktion.de/thema/soziales-gleichstellung/schleswig-holstein-%E2%80%93-vorreiter-der-kinder-und-jugendbeteiligung und http://www.spd.ltsh.de/presse/kinder-und-jugendliche-st-rker-beteiligen beides abgerufen am 03.10.17

[9] Vgl. Sinus-Studien

Empfehlung der Antragskommission:
Annahme

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